Sonntag, 4. Dezember 2016

Wertschätzung


Wertschätzung bezeichnet allgemein eine positive Bewertung eines anderen Menschen. Sie betrifft eher einen Menschen als Ganzes als einzelne Taten. Spannend an der Wertschätzung ist, dass sie in unserer Überflussgesellschaft zu einem Mangelgut zählt. Mangelnde Wertschätzung wird überall beklagt, vor allem am Arbeitsplatz. Führungskräften muss man offenbar beibringen, wie man Wertschätzung zeigt. Ist das nicht seltsam? Woher kommt das?

[Es ist effizient, sich nicht dauernd um Probleme zu kümmern.]

Im Freundeskreis scheint es doch wunderbar zu klappen.Ist Wertschätzung vielleicht zu hoch gegriffen? Würde ein einfaches Lob genügen? - Studien zeigen immer wieder, dass Manager meinen, dass sie oft loben, Mitarbeitende hingegen fühlen sich selten gelobt, als ob die Hälfte vom ausgesprochenen Lob systematisch in einem schwarzen Loch verschwände. Dabei hätten zumindest jene Manager, die selbst Kinder haben, es im Eltern-Kurs bereits lernen können: Die psychologisch fundierten Spielanweisungen für das Loben von Kindern und von Mitarbeitenden sehen nämlich verdächtig ähnlich aus.  Spezifisch sollte es sein. Nicht einfach „schöne Zeichnung“, sondern „diesen Vogel da hast Du schön gemalt“ oder dieser „Hund sieht wirklich lustig aus“. Und dann sollte es zeitnah erfolgen. Der gestern leer gegessene Teller interessiert heute keinen mehr. Und authentisch sollte es sein. Also nichts loben, was man nicht wirklich gut findet. Das ist dann für leistungsorientierte Menschen nicht ganz einfach. Besonders, weil man der Versuchung widerstehen sollte, pädagogisch geschickt zu fragen „und diese Wolke, willst Du die nicht fertig ausmahlen?“. Vor allem nicht, nachdem das Kind auf das Lob für die Hundezeichnung geantwortet: „Ist gar kein Hund, ist eine Katze.“

Was im Gegensatz zu Kindern bei Mitarbeitenden erschwerend dazu kommt: Die Leistung einzuschätzen ist gar nicht einfach. Wenn Huber dieses Jahr 20% mehr Umsatz gemacht hat in seiner Abteilung, dann war vielleicht Glück dabei, wenn er 20% weniger gemacht hat war es vielleicht eine tolle Leistung, weil es ohne seinen Einsatz noch wesentlich weniger gewesen wäre. Eine Führungskraft fühlt sich zwar verantwortlich, diese Unterscheidung treffend machen zu können, doch wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die Faktenbasis für eine fundierte Einschätzung oft nicht ausreicht. Zudem geschieht loben immer irgendwie von oben nach unten und funktioniert nicht so richtig auf Augenhöhe.

Wäre Wertschätzung eben doch der richtige Ansatz? Manager könnten anfangen, wertschätzende Interviews zu führen. Das sind Gespräche, in denen es weder um Probleme noch Leistungsverbesserungen geht, sondern in denen Mitarbeitende mit ihren Stärken und Erfolgen im Zentrum stehen – mögen es auch relative Stärken und bescheidene Erfolge sein. Es geht darum, sich so kennen zu lernen, dass die positiven Seiten eine Chance bekommen, wahrgenommen zu werden. Vielleicht so: Warum hast Du Dich auf diesen Job damals eigentlich beworben, was hat Dich fasziniert? Welche Deiner Stärken konntest Du bisher am besten einbringen, wie hat das funktioniert? Was ist das, was Dich am meisten freut bei der Arbeit? Was beflügelt oder energetisiert Dich? – Natürlich sollte das Interesse authentisch sein – auf gelangweilte oder manipulierende Art gestellt verfehlen solche Fragen ihre Wirkung. Aber authentisch zu sein ist eigentlich nicht schwer. Was es dazu bräuchte, ist bloss ein Verständnis dafür, dass es zur Rolle als gute Führungskraft gehört, Interesse für Positives zu zeigen. Und zwar nicht nur in der Kaffeepause oder wenn alles andere erledigt ist. Diese Denke ist der eigentliche Engpass. - Klar, Wertschätzung zu zeigen braucht Zeit. Das lässt sich nicht einfach beschleunigen. Wir wissen aber auch, dass wir damit im Grunde viel Zeit und Ärger sparen, weil danach Probleme gar nicht erst auftauchen oder sich rascher lösen lassen.  Fazit: Es ist höchst effizient, sich nicht dauernd um Probleme zu kümmern, sondern darum, was gut läuft. Es ist wirkungsvoll, sich nicht nur um Statistiken, Strukturen und Strategien zu kümmern, sondern um die Menschen im Unternehmen. Es ist professionell, ganz subjektiv zu erforschen wie weit es uns möglich ist, diese Menschen zu mögen wie sie sind. Es ist sinnvoll, sie dabei zu unterstützen zu sein, wer sie sind und zu werden, wer sie werden können. – Wertschätzung ist der Schlüssel dazu, dass sich Menschsein und wirtschaftlicher Erfolg nicht gegenseitig ausschliessen. Ist das nicht eigentlich auch schon eine frohe Botschaft?


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